21.03.2023

Das „neue“ Hinweisgeberschutzgesetz – Alter Entwurf in neuem Gewand

Bereits am 16.12.2022 verabschiedete der Bundestag den bis dahin ersten Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes, das nicht nur, wie der Name nahelegt, den Schutz von Hinweisgebern regelt, sondern Unternehmen ganz grundsätzlich verpflichtet, entsprechende Hinweisgebersysteme einzurichten. Das Gesetz ist dabei Ausfluss eines langwierigen Umsetzungsprozesses der Vorgaben zum Hinweisgeberschutz, die die EU bereits im Jahr 2019 in der EU-Whistleblower-Richtlinie normiert hatte. 

Das Hinweisgeberschutzgesetz geht allerdings bereits in seinem sachlichen Anwendungsbereich deutlich über die Mindestanforderungen der EU-Whistleblower-Richtlinie hinaus und erweitert den Anwendungsbereich des Gesetzes über das EU-Recht hinaus auf zahlreiche weitere Bereiche des nationalen Rechts, insbesondere sämtliche strafrechtlich relevanten Verstöße. 

Das „institutionelle Kernstück“ des Hinweisgeberschutzgesetzes ist die – bußgeldbewehrte – Verpflichtung für Unternehmen mit 50 oder mehr Beschäftigten, eine „interne Meldestelle“, also ein Hinweisgebersystem, einzurichten. 

  • Die interne Meldestelle muss mündliche, schriftliche und persönliche Hinweise durch die Beschäftigten ermöglichen.
  • Die Abgabe anonymer Meldungen muss ermöglicht werden. 
  • Die Meldung des Hinweisgebers muss vertraulich behandelt werden.
  • Interne Meldestellen müssen von Mitarbeitern (oder Dritten) betrieben werden, die unabhängig und fachkundig sind.
  • Der Hinweisgeber muss spätestens nach sieben Tagen eine Eingangsbestätigung erhalten.
  • Spätestens drei Monate nach Eingang des Hinweises erfolgt eine Rückmeldung an den Hinweisgeber über geplante oder ergriffene Folgemaßnahmen.
  • Jegliche Form von Repressalien gegen den Hinweisgeber sind verboten und können mit einem Bußgeld von bis zu 100.000,00 EUR geahndet werden.

Am 10.02.2023 hat der Bundesrat überraschend die Zustimmung zum Hinweisgeberschutzgesetz verweigert. 

Aufgrund des bestehenden Zeitdrucks, die EU hat mangels Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet, hat die Regierungskoalition nicht den Vermittlungsausschuss angerufen, sondern dem Bundestag unter dem 14.03.2023 einen neuen Entwurf, besser gesagt zwei neue Entwürfe vorgelegt, die am 17.03.2023 in erster Lesung – erwartbar – kontrovers debattiert wurden.

Zwei Entwürfe. Das wirft zunächst Fragen auf. Die Regierungskoalition hat sich hier offenbar eines „Kunstgriffes“ bedient und den Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes (erster neuer Entwurf) in der Fassung vom 16.12.2022 lediglich dahingehend modifiziert, dass die Zustimmungsbedürftigkeit entfällt. Inhaltlich hat sich der Regelungsgehalt nicht geändert, insbesondere die Anforderungen an die interne Meldestelle in Unternehmen sind gleichgeblieben. Um die Zustimmungsbedürftigkeit entfallen zu lassen, nimmt der Entwurf nunmehr allerdings ausdrücklich Beamte der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Richterinnen und Richter im Landesdienst aus seinem Anwendungsbereich aus (vgl. § 1 Abs. 3 HinSchG-E). 

Da das Gesetz weder die Verfassung ändert, noch Auswirkungen auf die Länderfinanzen hat und – aufgrund der Neuregelung – nunmehr auch nicht mehr in die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder eingreift, entfällt, so die Strategie der Bundesregierung, das Zustimmungserfordernis durch den Bundesrat. 

Das Gesetz könnte durch den Bundesrat nun lediglich noch durch einen Einspruch mit absoluter Mehrheit der Mitglieder des Bundesrates (35 von 69 Stimmen) gestoppt werden. Dass insbesondere die unionsgeführten Bundesländer die erforderliche absolute Mehrheit organisieren können, erscheint ausgesprochen unwahrscheinlich. 

Ein solcher Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes, der die o.g. Institutionen der Länder aus dem Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes ausnimmt, setzt die europäischen Vorgaben aus der EU-Whistleblower-RL allerdings noch immer nicht vollständig um, weshalb die Bundesregierung dem Bundestag zugleich einen zweiten Gesetzentwurf (Änderungsgesetz zum Hinweisgeberschutzgesetz) vorgelegt hat, der vorsieht, die Abschnitte aus dem Hinweisgeberschutzgesetz (wieder) zu streichen, die die Beschäftigten des öffentlichen Sektors der Länder aus dem Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes ausnehmen. 

Dieses Änderungsgesetz wiederum erfordert die Zustimmung des Bundesrates, da jedenfalls in die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder eingegriffen wird. Würde dieses Änderungsgesetz in der jetzigen Fassung die Zustimmung des Bundesrates finden, würde schlussendlich ein Hinweisgeberschutzgesetz in der Form in Kraft treten, wie es der Bundestag bereits am 16.10.2022 verabschiedet hatte. Würde der Bundesrat erneut seine Zustimmung verweigern, hätte die Bundesregierung zumindest den „schwarzen Peter“ dem Bundesrat zugeschoben. Ob dies auf das laufende Vertragsverletzungsverfahren der EU Einfluss hätte, steht in den Sternen.  

Bereits am 27.03.2023 wird der Rechtsausschuss die beiden vorgelegten Entwürfe beraten. Am 30.03.2023 finden die zweite und die dritte Lesung beider Entwürfe im Bundestag statt. 

Handlungsbedarf für Beschäftigungsgeber des privaten Sektors

Der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zeigt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft tritt und Unternehmen ab 50 Beschäftigten ein funktionierendes Hinweisgebersystem implementiert haben müssen. 

Beschäftigungsgeber mit 250 Beschäftigten oder mehr sind ausweislich des neuen Entwurfs innerhalb eines Monats (!) nach Verkündung des Hinweisgeberschutzgesetzes zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems verpflichtet. Da der Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes bereits am 30.03.2023 in die abschließende Lesung im Bundestag geht und kurz darauf auch die Verkündung des Gesetzes zu erwarten ist, sollten Unternehmen dieser Größenordnung spätestens ab Mai 2023 mit einem adäquaten Hinweisgebersystem ausgestattet sein.

Beschäftigungsgeber mit 50 bis 249 Beschäftigten trifft die Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems erst mit Wirkung ab dem 17.12.2023. 

Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems ist nicht nur bußgeldbewehrt, sondern führt auch dazu, dass das Compliance Management System des Unternehmens nicht mehr als lege artis qualifiziert werden kann und damit ein Haftungsrisiko für die Geschäftsleitung darstellt. 

Handlungsbedarf für Beschäftigungsgeber des öffentlichen Sektors

Sollte der Bundesrat seine Zustimmung zu dem o.g. Änderungsgesetz zum Hinweisgeberschutzgesetz verweigern, wären Beschäftigungsgeber des öffentlichen Sektors weiterhin nicht einfachgesetzlich verpflichtet, ein Hinweisgebersystem einzurichten. Dies entbindet die öffentlichen Beschäftigungsgeber dennoch nicht generell von einer dahingehenden Verpflichtung. Abgesehen von den auch im öffentlichen Bereich geltenden Compliance-Pflichten gibt es in der Rechtswissenschaft starke Stimmen, die die EU-Whistleblower-RL gerade im Hinblick auf den öffentlichen Sektor als „self-executing“ ansehen mit der Folge, dass es eines nationalen Umsetzungsaktes hinsichtlich der EU-Whistleblower-Richtlinie gar nicht mehr bedürfe und die Verpflichtung zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems im öffentlichen Sektor unmittelbar gelte. 

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Justus Kraft, LL.M.

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Rechtsanwalt